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Die Gesellschaft der Freunde (1792-1935).
Ein Zentrum des jüdischen Emanzipations- und Akkulturationsprozesses in Berlin

Die Gesellschaft der Freunde prägte und widerspiegelte anderthalb Jahrhunderte deutsch-jüdischer Geschichte. Gegründet 1792 im Kreis junger jüdischer Aufklärer in Berlin, wurde sie zu einem Prototyp des modernen jüdischen Vereinswesens. Ziele der Organisation waren auf der einen Seite die Durchsetzung der Ideale der Aufklärung und die Emanzipation der preußischen Juden, auf der anderen Seite die gegenseitige Unterstützung der Mitglieder in Fällen von Krankheit, Armut, Arbeitslosigkeit und Tod. In den ersten Jahrzehnten seines Bestehens setzte sich die Gesellschaft innerhalb der jüdischen Gemeinde intensiv für Reformen im Sinne der Aufklärung ein und wurde so politisch tätig.

In den Jahren nach dem preußischen Judenemanzipationsedikt 1812 verschob sich das Gewicht auf den gesellschaftlichen Bereich. Das Haus der Gesellschaft der Freunde nahe dem Alexanderplatz wurde zu einem Zentrum des jüdischen Berlins, mit Kultur-, Vergnügungs- und Bildungsveranstaltungen, ein Ort, an dem sich auch andere Vereine mit ähnlichen Zielen der Wohltätigkeit oder Kulturarbeit versammelten. Der sich tiefgreifend wandelnden jüdischen Identität wurde damit – sowohl organisatorisch als auch stadttopographisch - ein Raum geschaffen.

In den Jahren bis zur Bildung des Deutschen Kaiserreichs 1871 fand ein ständiger sozialer Aufstieg der Mitgliedschaft der Gesellschaft der Freunde statt. War der Verein von aufklärerischen Junggesellen, die wirtschaftlich in ungesicherten oder abhängigen Verhältnissen standen, gegründet worden, so mehrte sich bald der Anteil von jungen Bankiers, Kaufleuten und Industriellen, die eigene Unternehmen aufbauten und zum Erfolg führten. Diese Entwicklung setzte sich über mehrere Generationen hinweg fort und mündete schließlich in der dritten Phase des Wirkens der Gesellschaft. Zur Zeit des Kaiserreichs und der Weimarer Republik war dieser Verein das inoffizielle Zentrum des in Berlin ansässigen führenden deutschen Finanz- und Wirtschaftsbürgertums jüdischer Abstammung. Die Spitzen von Großunternehmen wie Ullstein, AEG, Deutsche Bank oder Agfa, Familien wie die Mendelssohns, die Rathenaus und die Mosses waren hier versammelt. Zudem stieg, wenn auch langsam, der Anteil der Mitglieder, die keinerlei jüdischen Hintergrund besaßen: Hjalmar Schacht, Hans Luther, Friedrich Reinhart und Carl Friedrich von Siemens sind die prominentesten Beispiele für diesen deutlichen Schritt in die Richtung einer deutsch-jüdischen Integration im Bereich der Wirtschaft.

Das Verbot der Gesellschaft durch die Nationalsozialisten 1935 widerspiegelt die Zerschlagung des jüdischstämmigen Wirtschaftsbürgertums. Es ist eine Aufgabe der Dissertation, das Schicksal der ehemaligen Mitglieder nach 1933 zu rekonstruieren: Neben Emigration und Neuanfang im Ausland stehen der Tod in Gefängnissen und Konzentrationslagern ebenso wie das – immer bedrohte – Überleben im Deutschen Reich.

Der erfolglose Versuch ehemaliger Vorstandsmitglieder in den 1950er Jahren vor einem Berliner Wiedergutmachungsamt, das Vermögen des Vereins rückübertragen zu bekommen, beendete die Geschichte dieses Vereins.

 

Die Gesellschaft der Freunde verkörpert wie keine andere Organisation den gesamten Prozeß von Emanzipation, Akkulturation und Zerschlagung des deutschen Judentums. Die Dissertation wird insbesondere wichtige Erkenntnisse zur Frühgeschichte des jüdischen Vereinswesens, zur Topographie des Berliner Judentums im 19. Jahrhundert und zur inoffiziellen Selbstorganisation des deutsch-jüdischen Wirtschaftsbürgertums liefern.